Die Mäuse wurden Ganzkörper-SAR-Werten von 2,5, 5 und 10 Watt pro Kilogramm ausgesetzt. Bei den Ratten waren es 1,5, 3 und 6 Watt. SAR steht für spezifische Absorptionsrate und gibt an, wie viel Strahlungsleistung der Körper aufnimmt.
Zum Vergleich: Die Internationale Kommission für den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP) empfiehlt, dass Mobiltelefone 2 Watt pro Kilogramm lokal nicht überschreiten. Selbst wenn ein Handy bei schlechter Verbindung maximal strahlt, sind Nutzer dieser Strahlung nur ganz lokal an Ohr und Hand ausgesetzt, nicht am ganzen Körper. Für die Bestrahlung des ganzen Körpers, etwa durch Mobilfunkantennen, empfiehlt die ICNIRP einen Grenzwert von 0,08 Watt pro Kilogramm.
Unter Dauerstrahlung
Die Versuchstiere wurden der Mobilfunkstrahlung zwei Jahre lang ausgesetzt, sieben Tage die Woche, jeweils neun Stunden täglich, beginnend bereits im Mutterleib. Vor zwei Jahren publizierten die Forschenden Teilergebnisse. Diesen März begutachteten Experten bei einem dreitägigen Treffen die Berichtsentwürfe. Im Herbst sollen nun die definitiven Ergebnisse publiziert werden.
So viel lässt sich schon jetzt sagen: Bei den Mäusen gab es keine eindeutigen Hinweise auf ein erhöhtes Krebsrisiko. Bei den Ratten wurden teilweise leicht erhöhte Tumorraten in Gehirn, Prostata, Hirnanhangdrüse, Nebenniere, Leber und Bauchspeicheldrüsefestgestellt. Sie konnten jedoch nicht in klaren Zusammenhang mit der Mobilfunkstrahlung gebracht werden.
Allerdings fanden die Forscher bei männlichen Ratten ein leicht erhöhtes Auftreten von sogenannten Schwannomen am Herz – das sind Tumore der Schwann-Zellen, die der Isolation von Nervenzellen dienen. Die hochkarätig besetzte Kommission aus Toxikologen kam zum Schluss, dass das eine Folge der Mobilfunkstrahlung ist.
«Es ist eine gut gemachte Studie, die grösste Tierstudie bisher. Deshalb sind die Resultate sehr bedeutend.»
MARTIN RÖÖSLI, EPIDEMIOLOGE AM SCHWEIZERISCHEN TROPEN- UND PUBLIC-HEALTH-INSTITUT IN BASEL
«Die Resultate überraschten viele», sagt Niels Kuster. «Denn bisher ist kein Mechanismus bekannt, durch den elektromagnetische Strahlung Krebs verursachen könnte.» Er räumt ein: «Wenn diese Resultate Ende der neunziger Jahre herausgekommen wären, hätten sie wohl einen grossen politischen Effekt gehabt und die Forschungsförderung seriös angestossen. Doch unterdessen haben sich die Leute daran gewöhnt, ihr Handy immer und überall dabeizuhaben. Und Industrie und Behörden haben beschlossen, dass Mobilfunkstrahlung kein Risiko darstellt.»
«Schade, dass es keine Entwarnung gibt»
«Es ist eine gut gemachte Studie, die grösste Tierstudie bisher. Deshalb sind die Resultate sehr bedeutend», sagt Martin Röösli, Epidemiologe am Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut in Basel. Er leitet die Beratende Expertengruppe nichtionisierende Strahlung des Bundes.
Doch die Fallzahlen seien trotz dem Umfang der Studie nicht gross, die Interpretation der Daten sei entsprechend sehr schwierig. «Wenn nun 3 von 100 bestrahlten Ratten einen Tumor entwickeln und in der Kontrollgruppe keine einzige, dann sieht das sofort nach sehr viel aus. Möglicherweise ist es aber nur ein Zufallsbefund», sagt Röösli. Man müsse sich auch fragen, warum die Effekte nur bei männlichen Ratten auftraten – und warum die bestrahlten Versuchstiere eine höhere Lebenserwartung aufwiesen als diejenigen der Kontrollgruppe, die keiner Strahlung ausgesetzt waren.
Die Resultate bereiten Röösli keine Sorgen. «Es ist natürlich schade, dass es keine Entwarnung gibt. Und möglicherweise gibt es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Mobilfunk und Krebs. Aber selbst wenn, ist er sicher nicht stark. Im Vergleich zu bekannten Krebserregern wie etwa ionisierender oder ultravioletter Strahlung waren die beobachteten Effekte hier sehr schwach.» Das Ganze habe aber eine gewisse Relevanz, weil Handynutzung so verbreitet sei: «Selbst wenn nur jeder millionste Handynutzer einen Tumor bekäme, wären das schon Tausende Tumore jedes Jahr.»
Anpassung auf «wahrscheinlich krebserregend» gefordert
«Die NTP-Studie hat eine hohe Qualität», sagt auch Meike Mevissen, die an der Uni Bern die Abteilung Veterinär-Pharmakologie und Toxikologie leitet und der beratenden Kommission des Bundes angehört. Gliome und Herz-Schwannome seien aber sehr seltene Krebsarten. Deshalb sei es bei nur 90 Tieren pro Gruppe schwierig, einen statistisch aussagekräftigen Effekt zu erzielen.
Aus ihrer Sicht stützen die Ergebnisse der Studie die Einschätzung der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC). Sie stufte 2011 Mobilfunkstrahlung als «möglicherweise krebserregend» ein – aufgrund von Hinweisen aus Studien, dass die Langzeitnutzung von Handys eventuell in Verbindung steht mit Hörnerv-Tumoren und Gliomen im Gehirn. Bei Hörnerv-Tumoren sind wie bei der NTP-Studie Schwann-Zellen betroffen.